Pflegegrad, Pflegerecht und Pflegekasse, Für pflegende Angehörige
Widerspruch MD Gutachten – Darauf sollten Sie achten
Kann man Widerspruch gegen ein MD Gutachten einlegen? Ja! Sie können widersprechen. Eine Zusammenfassung der Fristen und Formalia hier.
Stand 12. Juni 2024
- Inhaltsverzeichnis
- 1 Widerspruch MD Gutachten – Darauf sollten Sie achten
- 1.1 Warum der Pflegegrad einer Person im Gutachten des MD zu niedrig eingestuft werden kann
- 1.2 Dr. Jutta Anna Kleber, Promedica Plus Beraterin (Promedicaplus.de/berlin-suedwest)
- 1.3 Der Bescheid entspricht nicht Ihren Erwartungen – wie Sie Widerspruch beim MD einlegen
- 1.4 Tobias Leidig, Careship.de
- 1.5 Wie kann ich gegen den Pflegegradbescheid des MD Widerspruch einlegen?
- 1.6 Markus Oppel, Pflegeberatung-oppel.de
- 1.7 Was passiert nach Einreichen des Widerspruchs beim MD?
- 1.8 Ralf Bittner, pflegeberatung-bittner.de
- 1.9 Widerspruch Gutachten MD – Fazit
Um einen Pflegegrad zu erlangen, muss zunächst ein Antrag gestellt werden. Daraufhin kommt ein Vertreter des Medizinischen Dienstes (MD) zu einem im Vorhinein vereinbarten Termin, um die Situation der pflegebedürftigen Person vor Ort einzuschätzen. Manchmal kann es passieren, dass diese Einschätzung anders ausfällt, als man es erwartet. Etwa ein Drittel aller Anträge auf einen Pflegegrad werden zunächst abgelehnt.
Es kann auch passieren, dass ein geringerer Pflegegrad mit entsprechend weniger Leistungen bescheinigt wird, der von der eigenen Einschätzung abweicht. Wir haben mit Experten gesprochen, aus welchen Gründen eine Einschätzung anders ausfallen kann, worauf zu achten ist, wenn Sie bezüglich eines Gutachtens beim MD Widerspruch einlegen möchten und welche Fristen und Kosten involviert sind.
Warum der Pflegegrad einer Person im Gutachten des MD zu niedrig eingestuft werden kann
Besonders bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz kann es vorkommen, dass sie beim Besuch des MD-Mitarbeiters angeben, bestimmte Tätigkeiten noch voll und ganz verrichten zu können, obwohl sie dafür in der Regel Unterstützung benötigen. Dies kann aus Schamgefühl geschehen, denn natürlich ist es nicht einfach, vor einer fremden Person (und das ist der MD-Mitarbeiter) einzugestehen, dass man etwas nicht mehr allein schafft. Da die Person vor dem Prüfer oder der Prüferin nicht gebrechlich wirken möchte, kommt es in einigen Fällen zu Fehleinschätzungen.
Daher ist es ratsam, dass bei dem Prüftermin eine unabhängige Person anwesend ist, die die Situation neutral einschätzen und diese dem MD-Prüfer schildern und belegen kann. Deswegen sind wir auch oft bei diesen Terminen anwesend, damit wir direkt vor Ort alles tun können, um sicherzustellen, dass die pflegebedürftige Person die Hilfe bekommt, die ihr zusteht.
Dr. Jutta Anna Kleber, Promedica Plus Beraterin (Promedicaplus.de/berlin-suedwest)
Geschäftsführerin des Standortes Promedica Plus Berlin-Südwest und Pflegeberaterin in Berlin. Die Promedica-Gruppe ist der bundesweit führende Anbieter von 24-Stunden-Betreuungen zu Hause. Zuverlässige, engagierte und geschulte Betreuungskräfte ermöglichen auch bei einem hohen Pflegebedarf das zufriedene Leben der Kunden in den eigenen vier Wänden. Die Senioren und Seniorinnen werden rundum unterstützt, versorgt, bekocht und gepflegt (Grundpflege außer medizinische Pflege).
Der Bescheid entspricht nicht Ihren Erwartungen – wie Sie Widerspruch beim MD einlegen
Zahlreiche Anträge auf einen Pflegegrad werden zunächst abgelehnt oder entsprechen nicht Ihrer Einschätzung der Pflegesituation. Wenn Sie davon überzeugt sind, dass das Urteil des Gutachters nicht gerechtfertigt ist, können Sie Widerspruch erheben. Wichtig ist, dass dies schriftlich und innerhalb von vier Wochen nach der Benachrichtigung geschieht. Widerspruch darf nur der Versicherte selbst bzw. der Bevollmächtigte erheben.
Gut zu wissen: Der Widerspruch muss zwar innerhalb der genannten Frist eingereicht werden, die Begründung kann allerdings auch nachgereicht werden. Das Gutachten des Ablehnungsbescheids sollte dem Versicherten in jedem Fall vorliegen bzw. bei Nichtvorlage bei der Pflegekasse unverzüglich angefordert werden.
Um das Gutachten sorgfältig zu prüfen, bietet es sich an, den Rat von Pflegeexperten in Anspruch zu nehmen. Besprechen Sie das Gutachten in einem örtlichen Pflegestützpunkt oder fragen Sie bei Ihrem Pflegedienst nach.
Darüber hinaus empfiehlt es sich, den Widerspruch so detailliert wie möglich darzulegen und, wenn möglich, mit Nachweisen zu belegen. Reichen sie auch alle ärztlichen Unterlagen (Diagnosen, Arztbriefe oder Atteste) ein, wenn diese bei Begutachtung noch nicht vorlagen.
Ist der Widerspruch gut begründet, kann mit recht guten Erfolgschancen gerechnet werden. Sollte der Widerspruchsbescheid abgelehnt werden, kommt ggf. nur noch eine Klage in Frage. Ein Widerspruchsverfahren ist immer kostenlos.
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Tobias Leidig, Careship.de
Examinierter Krankenpfleger und Careship-Pflegeexperte. Careship wurde 2015 von den Geschwistern Antonia und Nikolaus Albert gegründet. Seitdem bietet das Team Familien individuelle Hilfestellungen bei der Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen.
Wie kann ich gegen den Pflegegradbescheid des MD Widerspruch einlegen?
Circa 70 Prozent aller Erstgutachten führen nicht zum gewünschten (und oft auch realistischen und erreichbaren) Ergebnis. Durch einen Widerspruch steigen die Chancen, eine adäquate Einstufung in einen Pflegegrad zu erhalten, erheblich an.
Wenn Sie einen Widerspruch gegen den Pflegegradbescheid der Pflegekasse einlegen möchten, sichten Sie den Bescheid und das beiliegende Gutachten gründlich. Sollten Sie (betroffene Person, Pflegeperson, Angehörige) mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein, sollten Sie erstmal einen formlosen Widerspruch bei Ihrer Pflegekasse einlegen. Ein „Dreizeiler“ reicht zunächst zur Fristwahrung aus, da der Widerspruch innerhalb von vier Wochen nach Erstellung des Bescheides eingelegt werden muss. Einen ausführlichen Widerspruch können Sie dann nachreichen, gegebenenfalls mit Unterstützung. Lokal tätige (und optimalerweise auf Ihre Erkrankung/Beeinträchtigung/Situation spezialisierte) Pflegeberater, Pflegesachverständige und Sozialverbände, aber auch bundesweit tätige Experten aus dem Internet oder ein Pflegestützpunkt sind sinnvolle Anlaufstellen.
Das Gutachten des MD/Medicproof gilt für die Pflegekasse als Empfehlung. Dieser muss aber nicht Folge geleistet werden. In der Regel wird der Einschätzung des Gutachtens aber gefolgt. Ihre Pflegekasse und nicht der Gutachter entscheidet, welcher Pflegegrad erteilt wird.
Trotzdem ist zu empfehlen, auf Grundlage der im Gutachten angeführten Punkte jeden einzelnen zu kontrollieren:
- Wurde danach in der Begutachtung gefragt?
- Wurden Sie richtig verstanden?
- Hat sich die Selbstständigkeit in den einzelnen Fragestellungen seit der Begutachtung verschlechtert?
- Wurden eventuelle Fehler aufgeführt?
Das Pflegetagebuch hat mit der Umstellung 2017 auf die Pflegegrade (= „Grad der Selbstständigkeit“) an Bedeutung verloren, ist aber dennoch sinnvoll, zumindest im Rahmen der Erstellung eines Tagesablaufes, in dem Sie alle personellen Hilfen aufführen, die Sie erbringen.
Vor Beantragung eines Pflegegrades, zumindest aber vor der Begutachtung durch den MD (gesetzlich Versicherte) oder Medicproof (privat Versicherte) empfehle ich, einen Tagesablauf zu erstellen und alle anfallenden Tätigkeiten und Hilfeleistungen aufzuführen. Orientieren Sie sich dabei an den sechs Modulen mit den dazugehörigen Fragen. Nutzen Sie einen guten kostenlosen Pflegegradrechner (zum Beispiel unter https://pflege-dschungel.de/pflegegrad/).
Übrigens: Ihre Kasse ist verpflichtet, Ihnen eine aufsuchende Pflegeberatung gemäß §7a des SGB XI anzubieten – fordern Sie diese im Zweifel bitte aktiv ein und lassen Sie sich auf die Begutachtung vorbereiten und bei der Etablierung von Versorgungsstrukturen unterstützen.
Natürlich sind auch wir freiberuflich/selbständigen Pflegeberater und Sachverständigen für Sie da! Leider ist unser Angebot nicht immer kassenfinanziert möglich – dafür neutral und mit ausreichend Zeit für Ihre Bedürfnisse. Es sind auch Experten im Internet zu finden, die Sie in dem gesamten Prozess begleiten und unterstützen – allerdings ist diese Dienstleistung nicht kostenlos oder kassenfinanziert. Dafür geht man auf Ihre individuelle Situation ein.
Tipp: Fragen Sie mehrere Stellen an und vergleichen Sie Kosten, Verfügbarkeit und Kapazität für neue Termine. Es lohnt sich – auch wenn es Zeit kostet!
Markus Oppel, Pflegeberatung-oppel.de
Krankenpfleger, Pflegeberater – Inhaber der Pflegeberatung Oppel, Dozent im Gesundheitswesen, anerkannter Sachverständiger für Pflegegrad-Einstufung und Widerspruchsmanagement beim Deutschen Gutachter und Sachverständigen Verband e.V. Spezialgebiet Kinder und junge Erwachsene mit psychischen, psychiatrischen, emotionalen Erkrankungen. Pflegender Angehöriger – eigene Kinder haben einen Pflegegrad.
Was passiert nach Einreichen des Widerspruchs beim MD?
Ist der Widerspruch fristgemäß, spätestens vier Wochen nach Erhalt des Bescheids eingegangen, gilt für die Widerspruchsbearbeitung durch die Pflegekasse keine Frist. Daher kann sich diese laut meiner Erfahrung unter Umständen über einen längeren Zeitraum hinziehen.
So eine lange Bearbeitungszeit ist besonders für ältere, pflegebedürftige Menschen belastend. Zumal es passieren kann, dass sich der Gesundheitszustand – durch Krankheit oder einen Unfall – währenddessen verschlechtert und die Pflegebedürftigkeit dadurch steigt. In diesem Fall empfehle ich, den Widerspruch aufrecht zu erhalten und parallel dazu einen Antrag auf Verschlechterung der Pflegesituation zu stellen.
Die Pflegekasse bearbeitet den eingegangenen Widerspruch und entscheidet entweder im Sinne des Widersprechenden (das wäre dann die gewünschte Höherstufung oder überhaupt die Bewilligung von Pflegeleistungen) oder die ursprüngliche Entscheidung wird bestätigt. Dies kann auf Aktenlage oder in einem erneuten Gutachten vor Ort geschehen, was aber nicht vom selben Gutachter des MD durchgeführt werden darf.
Auch das zweite Gutachten kann angefochten werden. Dann geht die Entscheidung vor den Widerspruchsausschuss. Ist die Entscheidung des Ausschusses nicht zufriedenstellend, kann sich die Person an das Sozialgericht wenden. Bis auf eine Verwaltungsgebühr fallen hier keine Kosten an. Abhängig vom Gesundheitszustand der Person kann im Gerichtsverfahren auch ein unabhängiger Gutachter vor Ort – also bei der Person zu Hause – begutachten.
Stellt sich heraus, dass der Widerspruch gerechtfertigt ist, hat die Person rückwirkend zum Tag der Erstantragstellung Anspruch auf die Leistungen. Das kann für die Person oder deren pflegende Angehörige eine enorme finanzielle Entlastung bedeuten.
Ich rate Laien sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu holen. So kann vielen Missverständnissen vorgebeugt bzw. entgegengewirkt werden. Es ist einerseits möglich, dass Laien die Formulierungen der Begutachtungsrichtlinien falsch interpretieren und meinen, sie hätten Anspruch auf (mehr) Leistungen, auch wenn das Gutachten des MD korrekt ist.
Das Gutachten kann aber auch zu Recht angefochten werden. Dann kommt es bei der Widerspruchsformulierung umso mehr auf die korrekte Wortwahl an, wobei Laien manchmal schlichtweg das Fachwissen fehlt. Um sicherzugehen, dass der Antrag oder der Widerspruch im Sinne der pflegebedürftigen Person entschieden wird, empfehle ich daher, sich beraten zu lassen.
Ralf Bittner, pflegeberatung-bittner.de
Ich bin Diplom-Pflegewirt (FH), unabhängiger Pflegegutachter/Pflegesachverständiger und examinierter Krankenpfleger. Meine Berufserfahrung in Krankenhäusern, in der Altenhilfe, im Homecare- und im Bildungsbereich ermöglicht es mir, pflegebedürftige Personen und deren Familien umfassend zu beraten und ihnen zu helfen, die bestmögliche Versorgung zu erreichen. Ich beschäftige mich besonders mit ethischen Fragen in der Pflege und dem Begriff „Würde“ im Zusammenhang mit Demenzerkrankungen, worüber ich 2012 auch ein Buch veröffentlicht habe.
Widerspruch Gutachten MD – Fazit
Wir hoffen, wir konnten Ihnen einen Überblick über dieses sehr umfangreiche Thema verschaffen. Um sich oder Ihre Angehörigen gut versorgt zu wissen, ist es am besten, sich schon frühzeitig beraten zu lassen. So ist gewährleistet, dass Sie …
- … eine realistische Einschätzung erhalten, welcher Pflegegrad Ihnen bzw. der Pflegeperson zusteht
- … genügend informiert sind, wie Sie ggf. einen Widerspruch beim MD einreichen
- … Sie mit der bestmöglichen Unterstützung die nötigen Pflegeleistungen bekommen.
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