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Was tun, wenn ältere Menschen Veränderungen ablehnen?

Stand 16. Oktober 2024

Mit zunehmendem Alter sinkt bei vielen Menschen auch die Anpassungsfähigkeit an Veränderungen. Das kann in selbstironischem Schimpfen über den Supermarkt enden, der seine Regalordnung verändert hat, aber auch Totalverweigerung von notwendigen Veränderungen aus Angst bedeuten. Die Gründe sind vielfältig, aber der Konflikt trifft alle und belastet insbesondere Familien stark. 

Aber wieso fällt es älteren Menschen so schwer, auch positive Veränderungen zu begrüßen und sich auf Neues einzulassen, und was können pflegende Angehörige tun, um die Situation zu entschärfen?

Warum ältere Menschen Veränderungen ablehnen

Angst vor dem Unbekannten

Uns Menschen ist ein selbstverstärkendes Verhalten oft naheliegend, ob mit positiven oder negativen Gedanken. Man spricht dann auch von einer sogenannten “selbsterfüllenden Prophezeiung”: Man erwartet eine bestimmte Entwicklung und fördert durch das eigene Verhalten unbewusst den Eintritt derselben.

Das bedeutet z.B.: Auch wenn eine Situation nicht angenehm ist, so ist für viele Menschen die Furcht davor, dass etwas noch unangenehmer werden könnte, das gefühlt größere Übel. Sie gehen davon aus, dass eine Veränderung am wahrscheinlichsten negativ ist und halten dann verständlicherweise lieber am Gewohnten fest. 

Sorge um Verlust von Kontrolle und Autonomie

In jedem Alter kennen wir Menschen Momente der Entscheidungsmüdigkeit oder Überforderung. Wenn wir das Gefühl haben, unter Druck eine Entscheidung treffen zu müssen, neigen wir dazu, auf “Nummer sicher” zu gehen und weniger mutige oder weitreichende Schritte zu gehen. 

Im Alter gibt es viele Situationen, die bereits die Selbstbestimmung einschränken: von Gesundheitsproblemen über Mobilitätseinschränkungen bis zum Abbau der geistigen Kräfte. Ob Verlust der Kontrolle über die Blasenfunktion bei Inkontinenz oder die Notwendigkeit, die eigene Wohnung nach Jahrzehnten aufgeben zu müssen, weil sie nicht barrierefrei ist - diese Veränderungen sind sehr schmerzhaft und schwer zu ertragen. Umso weniger Kapazitäten haben viele, sich noch auf weitere Veränderungen einzulassen, die möglicherweise die Abgabe von noch mehr Eigenständigkeit bedeuten können.

Die Komfortzone

Die Komfortzone ist ein individueller physischer oder psychischer Bereich, in dem sich ein Mensch uneingeschränkt wohl fühlt. Das kann ein tatsächlicher Bereich z.B. innerhalb der Wohnung sein, umfasst aber auch die Distanz oder Nähe, in der man andere Menschen körperlich nah an sich lässt, und eine Art geistigen Zustand, in dem man sich wohl fühlt. 

Veränderungen bedeuten fast immer, diese zu verlassen. Bestenfalls wird sie dadurch erweitert, aber dennoch ist der erste Schritt immer einer in eine Zone, die sich weniger angenehm anfühlt. 

Es kann reine Bequemlichkeit sein, diese Zone nicht verlassen zu wollen. Andererseits ist es mehr als verständlich, dass die beschwerliche Reise außerhalb der Zone immer ein abzuwägender Preis ist. Idealerweise befinden sich daher die ersten Schritte innerhalb dieser Zone und erweitern sie immer gerade so viel, dass der nächste Schritt nicht oder nur erträglich weit außerhalb der Komfortzone liegt.

Kognitive Einschränkungen

Anpassungsfähigkeit ist auch eine Frage der geistigen Flexibilität. Durch die Veränderungen im Gehirn bei Krankheiten wie Demenz verringert sich diese jedoch. Das führt auch dazu, dass ein Mensch zunehmend geistig nicht oder nur aufwändig in der Lage ist, Veränderung anzunehmen. 

Dies führt zu mannigfaltigen Problemen. Vor allem nimmt es der betroffenen Person die Möglichkeit einer selbstbestimmten Entscheidung zu notwendigen Veränderungen, was wiederum Angst vor ungewohnten Umgebungen und ungewohnten Routinen nach sich ziehen kann. Weiter kann es aber einen Zustand durch die Traumatisierung der Veränderung auch verschlimmern und auch alte, vergrabene Traumata hervorholen. 

Generationsunterschiede

Die moderne Welt ist schnelllebig geworden und einer immer rapideren Veränderung unterworfen. Dadurch wachsen verschiedene Generationen auch sehr unterschiedlich mit ihrem Umgang mit Veränderung auf. War vor 70 Jahren noch seltener die Welt von heute auf morgen radikal anders, ist heute durch technologischen Fortschritt und die ständige Verfügbarkeit von Nachrichten der Wandel der Welt ständig vor Augen.

Entsprechend sollten Sie nicht erwarten, dass heutige Senioren die Flexibilität und Veränderungsbereitschaft der heutigen Jugend an den Tag legen können und wollen. 

Auswirkungen von sozialer Isolation 

Aus verschiedenen Gründen vereinsamen viele ältere Menschen. Das verursacht diverse Gesundheitsprobleme und beeinflusst auch die Lebensqualität. Vor allem aber schafft es auch eine Umgebung, in der Veränderung kaum noch extern ausgelöst wird und auch nur selten nötig ist. Die Menschen geraten sozusagen aus der Übung, sich an neue Situationen anzupassen. Auch deswegen ist es wichtig, dass soziale Kontakte aufrecht erhalten werden.

Was hilft: Gute Kommunikation und Verständnis

Wichtig ist für Umstehende und gerade Angehörige, sowohl die Gründe für die Ablehnung von Veränderung zu verstehen, wie auch erstmal das Empfinden und Wohlergehen der betroffenen Person in den Vordergrund zu stellen. Hilfe sollte nie übergriffig sein, sondern sich an der hilfsbedürftigen Person orientieren. 

Empathisch zuhören und Verständnis zeigen

Oft löst Verweigerung oder Widerwillen unwillkürlich bei Ihnen ebenfalls eine Abwehrreaktion hervor. Diese nährt sich meist aus einer subjektiv gefühlten Ablehnung Ihrer Person oder Ihrer Entscheidungsfähigkeit - denn kritisiert wird Ihr Vorschlag. Hinterfragen Sie diese und machen Sie sich klar, dass in der Regel kein Angriff auf Sie vorliegt, sondern die Ablehnung Ausdruck eines tiefer sitzenden Problems ist oder schlicht aus einem Missverständnis herrührt. 

Klare und respektvolle Kommunikation

Wenn man jemanden überzeugen möchte, neigt man zur Schönfärberei. Sind Sie sicher, dass eine Entscheidung oder Veränderung sehr positiv für Ihr Gegenüber ausfällt, sind kleinere Flunkereien auch nicht unwahrscheinlich. Das ist menschlich und sehr üblich, allerdings gerät es auch schnell in Gefahr, übergriffig zu werden. 

Respektvoll und klar zu kommunizieren bedeutet daher auch, alle Argumente und Fakten vorzubringen und in einem sachlichen Ton zu verbleiben. Natürlich dürfen Sie dabei weiterhin Ihre Meinung vertreten und für die Ihrer Ansicht nach bessere Situation werben.

Klare Kommunikation kann auch vom Gesundheitszustand des Gegenübers abhängig sein. Achten Sie darauf, dass Sie immer eine Sprache wählen, die auch verstanden wird. So kann es sein, dass Sie mit demenziell Erkrankten langsamer und kleinteiliger sprechen müssen. Hier kann auch einfache Sprache helfen. 

Selbstbestimmte Entscheidungen anstreben

Menschen tragen die Entscheidungen am besten, die sie selbst getroffen haben und sich damit selbst gegenüber verantworten. Sich übergangen zu fühlen ist für niemanden angenehm und hinterlässt Hilflosigkeit. So schwer es Ihnen als Angehörige daher fallen mag, eine möglicherweise langwierige Diskussion über etwas zu führen, was in Ihren Augen klar und alternativlos erscheint: Schlussendlich wird es zu weniger Konflikt und mehr Akzeptanz führen.

Tipps für pflegende Angehörige und erwachsene Kinder

Wer sich um eine andere Person kümmert, hat eine besondere Rolle inne. Gerade pflegende Angehörige und generell erwachsene Kinder finden sich deswegen schnell in einem Rollenkonflikt wieder, in dem anstehende Veränderungen auch den Umgang miteinander belasten. Einige Tipps können hier helfen, die Transition behutsam und verletzungsfrei zu gestalten und die persönliche Bindung unbetroffen zu lassen.

Veränderungen schrittweise einführen

Wenn möglich, so sollten Veränderungen so klein wie denkbar geschehen. Dadurch wird einerseits die Anpassungsfähigkeit nicht übermäßig belastet, andererseits aber ein Vertrauensweg geschaffen. Denn sieht die betroffene Person, dass kleinere Veränderungen kaum spürbare oder sogar positive Effekte im Alltag bewirkt, ist sie schneller bereit, sich auf größere Veränderungen einzulassen.

Diese Schritte sollten aber nicht heimlich geschehen, sondern von Anfang an klar kommuniziert werden. Oft sind Menschen auch viel eher bereit, sich auf erste, kleine Schritte einzulassen statt auf eine einzige, große Veränderung. Beschließen Sie daher am Besten gemeinsam, wie diese Schritte aussehen können und wie groß sie schlussendlich sind.

Ressourcen nutzen und Unterstützung suchen

Denken Sie immer daran, dass Sie nicht allein sind. Daher gibt es unzählige Anlaufstellen und Beratungsdienste, die sich auf verschiedene Veränderungsszenarien spezialisiert haben und Ihnen und Ihren Angehörigen helfen können, diese zu bewältigen. Nutzen Sie diese, denn eine externe Moderation hilft Ihnen, in erster Linie Ihre Angehörigen zu unterstützen und beizustehen, statt gleichzeitig noch den Veränderungsprozess voranzubringen. 

Ebenso kann es helfen, andere vertraute Personen dazuzuholen, die bereits die anstehende Veränderung durchlebt haben und die vorangehende Sorge selber kennen. Das können nahe Freunde sein, aber auch ehrenamtliche Helferinnen der örtlichen Seniorenberatungsstellen. In diversen Großstädten existieren dafür extra eigene Selbsthilfegruppen, in denen sich Ältere untereinander austauschen und gegenseitig beraten und unterstützen können.

Geduld und Flexibilität bewahren

Die Situation mag bisweilen auch an Ihren Nerven zerren und Sie belasten. Achten Sie auf sich und Ihre Psychohygiene, aber behalten Sie vor allem immer das Ziel im Auge und erinnern Sie sich gelegentlich daran, dass es ein lohnenswerter Einsatz ist. Bleiben Sie geduldig und rücksichtsvoll, auch wenn es Zeiten geben wird, in denen die Veränderung nur mühselig vorankommt.

Flexibilität ist nicht nur etwas, was Sie von Ihren Angehörigen erwarten, sondern diese auch von Ihnen. Beharren Sie nicht auf den “einen richtigen Weg”, wie und wann Veränderung ansteht und akzeptiert werden muss. Lassen Sie sich auch auf den individuellen Umgang damit ein, selbst wenn Sie anders gehandelt hätten.

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